Montag, 29. März 2010

belize bizarre


belize ist das wahrscheinlich absurdeste land, in dem ich je gewesen bin! es ist etwas, das sich nicht nur durch seine landeslinien, die koloniale vergangenheit oder die englische sprache von seinen zentralamerikanischen nachbarn abgrenzt, sondern viel mehr durch seine menschen und seinen fast unbeschreiblich herausfordernden muessiggang und diese schier grenzenlose lethargie.
je laenger ich mich mit diesem land auseinandersetze, desto klarer wird mir, dass "belize" fuer mich persoenlich nicht primaer fuer begriffe wie "geographie" steht, sondern eher eine beschreibung fuer einen eigenartigen gefuehlszustand sein koennte, den wir in unseren breitengraden nicht wirklich kennen. 


wir taumeln irgendwie noch in unserem tikal-dilirium vor uns hin, als wir vor demselben park in einen bus springen, der in richtung guatemaltekische grenze faehrt. nicht ein mal richtig aus dem bus gestiegen, springen uns auch schon die ersten geldwechsler an und flattern uns mit ihren scheinbuendeln die schwuele luft in die nasen. wir kehren guatemala den ruecken und entern die viel moderneren einreisebueros von belize. eigentlich muesste ich als schweizerin an dieser stelle 50 us- dollar visagebuehr bezahlen- es steht unuebersehbahr in riesigen lettern ueber dem schalter geschrieben- doch die beamte schaut mich einfach nur fluechtig und gleichgueltig an, drueckt mir den stempel in den pass und winkt mich weg. die kohle hat sie vergessen einzukassieren und sollte sie sich je die umstaende machen, und einen gedanken daran verschwenden, wird sie mit einem achselzucken darueber hinweg kommen. solange es nicht ihr eigenes geld ist, pfeifft sie darauf, es einzuziehen. und irgendwie steht dieser empfang in belize sinnbildlich fuer alles, was ich in diesem land noch sehen werde.

bevor wir in den bus nach belize city einsteigen, suchen wir einen "laden" auf. nun, im "supermarket" gibt's irgendwie nichts ausser laermenden ventilatoren auf jeder auf dem boden liegenden kartonschachtel und in jedem regal. das beduerfnis nach abkuehlung ist fuer den verkaeufer eindeutig wichtiger als der bedarf, irgendetwas zu verkaufen.. zu unserer ueberraschung entdecken wir zwischen den leeren gestellen doch noch einen gefrierschrank mit glacé und anderem zeugs drin, aus dem sich wahrscheinlich vor monaten schon die frische herausgepilzt hat. gefrorenes, das schimmelt!? wie soll das gehen?! (ein spezieller, belizianischer agregatzustand?!) doch die einheimischen scheint das nicht zu stoeren, hier konsumiert man frei nach dem motto "was mich nicht umbringt, macht mich nur staerker".  wir verschonen unsere europaeischen maegen mit solchen mutproben und verlassen den laden mit ein paar kaugummis..


ja, klar! es gibt auch piktoreske impressionen aus belize city!














die wunderlichen zustaende von belize wollten nicht abreissen und so hatte ich beim bezahlen meines bustickets das erstaunliche vergnuegen, mein erstes chickenbus- ticket in papierform in den haenden halten zu duerfen! meine chickenbus- erfahrungen beruhten bisher einzig und allein auf "einsteigen- zahlen- sich durch die menge druecken". ein "offizieller" chickenbus- fahrgast war ich in den vergangenen sechs monaten noch nie gewesen, meine tickets bestanden aus- hmm- luft! und nun das hier! was fuer ein einmaliges souvenier! wow, das rahm ich mir gleich ein!

begleitet vom raggea sound aus dem radio rattern wir an belmopan, der hauptstadt des landes, vorbei und erreichen belize city, wo wir zwei stunden und eine taxifahrerauseinandersetzung (hier gibt's keine standordnung- dr schneller (will heissen: dr staerkr) isch dr gschwinder) spaeter unser nigelnagelneues gasthaus beziehen. es ist so pingelig aufgeraeumt und gepflegt, dass man sich die ganze zeit fragen muss, wo hier der haken ist und von welchem der beiden netten hausbesitzer man wohl am ehesten ausgeraubt wird. es ist manchmal schon zum verrueckt werden- man kann sich nicht ein mal ueber gepflegte unterkuenfte freuen, ohne sich paranoisch am gedanken festzuklammern, dass gastfreundschaft in solchen hostels nur schein ist.. gluecklicherweise wurden wir aber mit solchen geschehnissen nicht konfrontiert.


bedarf keines weiteren kommentars..















am naechsten tag geh ich wieder meiner lieblingsbeschaeftigung, dem ziellosen herumschlendern, nach! je weniger ahnung man hat, desto mehr kann man schliesslich entdecken. deshalb habe ich aus meinem reisefuehrer, den ich in panama aufgeschnappt hatte und der mir seither nicht gerade viel zufriedenheit durch ganz zentralamerika bescherte, saemtliche stadtplaene heraus gerissen und den vermeintlich "informativen" teil endlich weggeworfen.
wie soll ich belize city bloss beschreiben?! diese stadt ist kaputt, heruntergekommen, verwahrlost, teilweise mit abfall zugeschuetteten strassenecken und stinkenden, grau- gruenen tuempeln gesaeumt, durch die frueher mal wasser geflossen ist. belize city ist arm, bemitleidenswert, ohne perspektiven, ohne zukunft, das einzige, was davon ablenkt, sind die vielen bunten fassaden seiner haeuser.
in einem (echten) supermarkt fuelle ich meinen einkaufskorb mit ein paar sachen- zweifelnd, dass sich die leute hier je eine packung nescafé oder ein glas oliven werden leisten koennen. das ist alles importierte luxusware- ein bild, das weit entfernt von den obdachlosen ist, die vor den geschaeften und auf den strassenraendern ihre arme nach geld und essen entgegen strecken..

belize city's haupt- strassenkreuzung, morgens um zehn.

aber belize city kann auch anders. sie hat eine wundervolle, wundersame, aber nicht minder irritierende kehrseite. es kommt mir vor, als haetten die einheimischen um diese uebel zugerichtete stadt einen luftundurchlaessigen mantel aus gleichgueltigkeit, leichtigkeit, stolz, harmonie, sorglosigkeit und geistiger absenz gelegt. gewoben aus einem einzigen material: dem raggae.
der raggae ist das grosse zauberwort. diese stroemung ist der lebensinhalt, -weg und -weiser dieser menschen, die vertraeumten hauptes und mit kreisenden hueften die strassen hinunterschaukeln, dieser leute, die dich manchmal mit den gluehendsten augen betrachten und deren blicke manchmal so leer, abwesend oder halluzinierend sein koennen, dass es beaengstigend ist (auf diese substanzen muss ich ja nicht weiter eingehen..).
betrachtet man diese menschen, wie sie die radiowellen in sich aufnehmen, wie sich ihr koerper und die lippen automatisch in bewegung setzen, sobald sie diese rhythmen und silben irgendwo wahrnehmen, wie sie dann so selbstzufrieden vor sich hinschwelgen- dann koennte man meinen, nichts wuerde sie je aus der fassung bringen, geschweige denn in rage bringen, sie haetten den frieden fuer die ewigkeit gepachtet. oder so aehnlich.. irgendwie lebt belize city allein von dieser passiven "einstellung" ihrer einwohner. sie ist ironischerweise die einzige lebensader des landes!
und nun waere da eben noch die andere art belizianischen lebens, die ich oben angesprochen habe. ich beobachte von der veranda unseres gasthauses aus einen aelteren herrn und eine dame, die sich jeden tag unter den gleichen baum stellen und ihre tueten mango verkaufen. seelenruhig und ins nichts starrend stehen sie den ganzen tag dort und sobald jemand vorbei kommt, um ihnen eine portion abzukaufen, verfallen sie fuer einige sekunden in puppenartige, mechanische bewegungen oder zuckungen, bis das kleingeld in die kasse reingeworfen wird um den schlussakt einzuklimmpern. dann stehen sie wieder trostlos wie requisiten nebeneinander zwischen diesen bunten puppenhaeusern bis der naechste kunde kommt.
es ist ein sehr beklemmendes gefuehl, diese menschen zu betrachten und zu wissen, dass sie an einem tag fuenf oder zehn dollar einnehmen, womit sie kaum durch kommen. es ist genau deshalb so beklemmend und vor allem irritierend, weil ich nicht vom gefuehl abkomme, dass dieses "nach aussen tragen" der lebensfreude und der gleichgueltigkeit nur eine maske ist.
ueberhaupt sind es fuer mich zwei voellig verschiedene welten, wenn ich zum beispiel an den lebensstandard und die "armut" von peru zurueck denke und sie mit der hier vergleiche. peru ist bei weitem nicht so verwestlicht wie belize, es sind zwei "arten" oder sichtweisen von armut, zwei werte, die nichts gemeinsam haben. suedamerika's kultur kaempft nicht gegen den maechtigen feind namens identitaetsverlust und sie scheint mir persoenlich viel eigenstaendiger und authentischer als diejenige von belize zu sein, die sich resignierend irgendwo zwischen joint und globalisierung klammert. belize wirkt auf mich wie ein land, das niemals verkraften wird, was man daraus gemacht hat oder wozu es geworden ist. die zeit ist hier schon lange stehen geblieben, und doch zwingt sie die belizianer auf eine unsanfte art und weise weiter zu ticken. es ist ein land, das nur dadurch funktioniert, indem es eben nicht funktioniert. die obdachlosen, die wirtschaftsmisere, die verwirrende immunitaet der einheimischen gegen alles negative- wie kann das nur hand in hand mit der ueberspielten froehlichkeit gehen..?! ich find's faszinierend und abschreckend zugleich. es ist so gespenstisch gegensaetzlich. (ich muss aber zugeben, dass mich der gedanke, hier eigentlich in der karibik zu sein, wo das meer tuerkis, die fruechte pink und die leute mit wassermelonen bedruckte kleidchen tragen sollten, der tragische kontrast dieser stadt halt umso mehr niederschmettert..)
anders gesagt. etwas zu sehen gibt es in der groessten stadt des landes nicht, diese atmosphaere ist sowieso viel eindruecklicher als jede sehenswuerdigkeit!


schutt und bretter. hier geht gar nichts- belize city.














nach zwei naechten verlasse ich mein britisches paeaerchen, das mir erst am naechsten tag folgen will. ich fahre nach caye caulker, eine kleine insel vor der kueste und am zweitgroessten korallenriff der welt gelegen.
nach meinem costa rica- strand- schock freue ich mich auf die schoenen, weissen karibikstraende, die ich hier aber vergebens suche, denn das wenige sandland ist fast vollstaendig bis ins wasser hinaus mit hostels und gasthaeusern bebaut.. (vielleicht haette ich nur ein bisschen weiter suchen sollen, was mir aber bei dieser hohen luftfeuchtigkeit irgendwie nicht leicht fiel..)
auf caye caulker leben ungefaehr 1300 menschen (auffaellig viele asiatische auswanderer darunter, die jeden zweiten laden auf der insel betreiben) und ein, zwei hundert backpacker, die es sich nicht leisen koennen auf den viel teureren nachbarinseln mit den gehobenen ressorts zu bleiben.


"schmerz"
"schmerz"
"jeglicher schmerz".














dementsprechend ist caye caulker alles andere als ein schmuckstueck. hier gibt es eigentlich nichts, womit man sich die zeit vertreiben koennte. aber irgendwie findet sich jeder schnell damit ab, doest also tagelang sinnlos vor sich hin- in bester belize manier- schnorchelt und plantscht ein bisschen im wasser und saeuft und droehnt sich am abend die birne zu.. vor mittag kriecht auf dieser insel kaum jemand aus den loechern, weshalb die langeweile noch erdrueckender ist als die 40 grad im schatten.
was mache ich bloss hier?! das einfachste und logischste in diesem moment waere doch meinen rucksack zu packen und ins naechste boot zu steigen. richtung irgendwo. meine lieblingsrichtung! dummerweise bin ich mittlerweile dieser kommunalen larifari selbst derart stark verfallen, dass es mir schwer faellt, an eine weiterreise zu denken.
nach drei tagen wird mir bewusst (ja, auch der einfachste gedanke braucht hier mehr zeit zum reifen als sonstwo..), dass das der vielleicht unpassendste ort meiner bisherigen reise ist. ich bin zwar endlich am meer, aber es hat keine straende, wo ich mein tuch ausbreiten und bequem faulenzen koennte. denn vor schnorcheln, schwimmen und ueberhaupt allem, was mit "im offenen meer sein und wasser ueber kniehoehe haben" zu tun hat, schrecke ich seit jeher zurueck. fische (sofern sie nicht gegrillt und gut gewuerzt auf meinem teller liegen) find ich extrem unangenehm, zu glubschig und glitschig, um nach ihnen schnorcheln zu gehen.
mir bleibt keine wahl. bevor mich die banalitaet meiner verzweiflung klein kriegt, beschliesse ich, mein "schicksal" selbst in die hand zu nehmen und stelle mich der groessten herausforderung meines bisherigen lebens. ich informiere mich ueber einen tauchkurs und unterschreibe- ohne zwei mal zu ueberlegen (haette, erstens,- wie schon oben gesagt- zu lange gedauert und waere, zweitens, zu rational gewesen, was mich definitiv wieder von meinem vorhaben abgebracht haette)- das anmeldeformular.
ich zahle die 350 dollar und kriege dafuer ein dickes, blaues buch. ob ich den neoprenanzug je anziehen werde, weiss ich immer noch nicht.. aber wenn die kohle erst mal weg ist, waechst zum glueck auch der ehrgeiz, doch noch etwas daraus zu machen. kampflos werd ich hoffentlich nicht aufgeben, das geld soll mir ambition genug sein!
haette ich nicht den versuch gestartet meine meerwasser- und fischabneigung zu ueberwinden, haette ich's keine zwei tage laenger auf caye caulker ausgehalten. mir kommt es vor, als haette gott irgendwann mal eine kleine fiese glocke ueber dieses inselchen gestuelpt und seine einwohner dazu verdammt in diesem valium aus ohnmaechtiger lethargie zu leben und sie auf die endlose suche nach dem blossen nichts geschickt. denn caye caulker ist in seinem kern ziemlich schraeg und fragwuerdig- aenlich wie belize city- nur noch konzentrierter in seinem muessiggang. irgendwie ist hier alles noch antriebsloser als drueben auf dem festland. das meistverbreitete hobby der einheimischen maenner ist es zum beispiel unter und neben palmen zu stehen oder zu sitzen und dabei die vorbeigehenden zu kommentieren, sie zu bequatschen, sich freundlich aufzudraengen, ihnen nachzulatschen, etc..
nach ein paar tagen hat man ihr nerviges grinsen und die sprueche satt und versucht sie zu ignorieren, wobei man sich dann wiederum wie der arroganteste depp vorkommt. man kann es in diesem land weder sich selbst noch sonst jemandem recht machen. belize ist in dieser hinsicht auf seine eigene art "anstrengend",  weil man staendig vom gefuehl verfolgt wird, besser gelaunt sein zu muessen, als man es eigentlich ist. belize ist schlicht ein gefuehl, das nicht aufgeht! jedenfalls nicht fuer leute wie mich, die in einer westlichen mentalitaet aufgewachsen sind. aber moeglich, dass ich mich einfach nur zu stark da rein gesteigert habe..

meine angst vor dem ersten sprung ins offene meer liess mich sowieso schnell alles vergessen, was um mich geschah. obwohl ich jedes mal, wenn wir heraus fuhren, wie im fieber da sass, versuchte ich mir nichts anmerken zu lassen- auch nicht dann, als uns der kapitaen das letzte mal hinaus fuhr und uns mit glasigen augen wie im wahn den "real jack sparrow" zeigen wollte, die wellen dabei auf das zerbrechliche boeoetchen schlugen und er verschmitzt raechend an seiner weinflasche nippte. wir werden nie wissen, ob er ein besserer schauspieler als jonny depp ist, oder ob's wirklich schon seine dritte flasche war..
gibt es denn ein schoeneres belizianisches souvenier, als dort die tauchlizenz zu erwerben?! ich bezweifle es! somit muss ich gestehen, dass mich die provokative passivitaet dieses landes schliesslich zu etwas herausgefordert hat, das ich mir zuvor nie zugetraut haette.

welcome to caye caulker! und zur frage "wozu braucht's noch blumentoepfe"?

bei der letzten uebernachtung auf caye cualker muss ich zusehen, wie mein neuer zimmernachbar beim einchecken eine machete (!!!??) aus seinem rucksack packt und sie wie selbstverstaendlich unter seinem bett verstaut. waere es ein einheimischer tourist, waere das ganze ja irgendwie nicht so aussergewoehnlich- aber was zur hoelle macht ein ami mit einer machete auf einer insel??! dagegen ist der verdammte, besoffene "real jack sparrow" eine witzfigur!
was macht man in solchen situationen? sich in ein anderes zimmer versetzen lassen oder sich unbeeindruckt zeigen? im normalfall wuerde ich nicht nur das zimmer wechseln, sondern das hotel verlassen. aber ich bin in belize- hier gibt's keine norm fuer den normalfall, hier tritt der normalfall in der regel nicht ein, hier entscheidet man nach tagesform. willkuerlich und unbewusst schaltete in diesem moment meine tagesform in den belizianischen modus.

belize, mein absurdistan! you're such a weirdo! du machst mich fertig! und darum verlass ich dich! leichten herzens, yet very pleased to got to know you!

ich bin muede, die ersten heimweh- gedanken haben mich schon aufgesucht. 
als ich im bus nach chetumal das letzte mal eine grenze ueberschreite, wird mir zum ersten mal so richtig bewusst, dass in drei wochen alles schon vorbei sein wird. ich freue mich auf den augenblick, in dem ich auf der anzeigetafel das gate meines fluges nach london ablesen werde, und bin dennoch voller wehmut, wenn ich an die vergangenen sechs monate denke.